Milla Jovovich: "Unsere Persönlichkeit war unser Accessoire"
Bei Milla Jovovich ist es leicht zu verstehen, weshalb sie einmal zu einem der berühmtesten Gesichter der Welt wurde. Klar, da sind ihre natürlich modellierten Gesichtszüge, die Richard Avedon einmal dazu brachten, sie als “die unvergesslichste Frau der Welt” zu bezeichnen, der durchdringende Blick, der schöner ist, wenn er ruhig und nachdenklich, auf sie selbst gerichtet ist, als geplant und bewusst eingesetzt, wie sie es in Gesprächen tut.
Da ist aber vor allem auch ihre Art, sich auch mal etwas zu laut oder unbeholfen zu zeigen, so, dass man zumindest glaubt, dass das nun die echte Milla Jovovich ist – eine Authentizität, die sie durch das Schauspielern gelernt hat. Ist das ein Paradoxon? Eben nicht, hat uns Milla Jovovich im Interview erzählt. Sie kam nach Berlin, um dort über eine Kampagne zu sprechen, die sie für das neue Joop-Parfüm “Wow” (übrigens der erste neue Frauenduft das Labels seit den 00er-Jahren) gedreht hat.
Mit uns hat sie über die 90er-Jahre, Frauenbilder und ihre Beauty-Routine gesprochen.
Vogue: Sie wurden in den 90er-Jahren zum Superstar, Ihr Look prägte eine ganze Generation – ein Look, wie ihn jetzt unzählige junge Menschen wieder neu interpretieren. Wie finden Sie das eigentlich?
Milla Jovovich: Ehrlich gesagt: Ich habe gar nicht wirklich mitbekommen, dass die 90er-Jahre gerade so populär sind.
All die Runway-Looks und die vielen Teenager, die versuchen so auszusehen, wie die Models der damaligen Zeit…
Das ist irgendwie auch logisch. Die 90er-Jahre waren das letzte Zeitalter für wahren Stil. Schaut man sich das letzte Jahrhundert an: Man hatte die Belle Époque, den Ersten Weltkrieg – Röcke wurden endlich gekürzt. Die 20er- bis zu den 90er-Jahren – jede dieser Zeitspannen war vom Stil her komplett anders als die vorherigen. Und dann kamen die 00er-Jahre, aber was ist der Unterscheid zwischen den 2000er-Jahren und den 2010ern? Und was ist der Unterscheid zwischen 2010 und jetzt? Ich sehe keine wirkliche Veränderung in Sachen Stil. Aber bei der Frauenmode habe ich das Gefühl, dass man die letzten 15 Jahre versucht hat, etwas aus den vorherigen Zeitaltern nachzumachen.
Wie sehr verfolgen Sie die Modewelt denn?
Ich muss sagen, dass ich mir nicht so viele Modemagazine und auch so gut wie keine Fashion Shows ansehe. Also konnte ich eigentlich gar nicht wissen, dass es eine Obsession mit den 90er-Jahren gibt. Aber dadurch, dass fast jede Ära bereits rausgeholt wurde, ist es klar, dass jetzt auch die 90er-Jahre dran sind.
Wer waren früher Ihre Stilikonen und wer sind sie heute? Sind die Menschen, die Sie inspirieren, die gleichen geblieben?
Nach Kate Moss gab es in meinen Augen keine wirklich starken Stilikonen mehr. Kate war atemberaubend, und nach Kate kamen die 00er Jahre – da ist nichts Drastisches mehr passiert.
Sie klingen fast etwas nostalgisch. War Ihnen damals bewusst, dass da Großes vor sich geht?
Da war ich mir sehr im Klaren drüber, ja. Diese Zeit gab uns eine Pause von den 80er-Jahren: Vorher die großen Schulterpolster und die New Romantics und auf einmal erschien alles supersimpel, sehr basic. Kein Make-up, Haare wurden einfach nach hinten gekämmt. Einfache Jeans und Tanktops waren die Norm – ganz simple Schnitte. Es war eine starke Bewegung in Richtung Natürlichkeit, es ging einfach darum, wer du wirklich bist. Die Musik zu dieser Zeit war genauso gut. Wir wollten roh und echt sein. Es ging in dieser Zeit niemals um irgendwelche Dinge drumherum: Accessoires waren in der Mode beispielsweise auch nie im Fokus – wir waren viel mehr die Anti-Accessoire-Generation. Unsere Persönlichkeit war unser Accessoire.
Wo wir schon dabei sind, müssen Sie natürlich sagen, was für Musik Sie so gehört haben…
Ganz einfach Alternative: Lou Barlow, Guided by Voices und Cat Power und so was.
Haben Sie rückblickend betrachtet ein Lieblingsjahr?
1997 habe ich “Das fünfte Element” gedreht – das war also ein ziemlich bedeutendes Jahr für mich. Lilo zu spielen hat mein Leben verändert, genauso wie meine Karriere.
Es war für Sie die endgültige Wende von der Mode zum Film.
Definitiv. Es war das erste Mal, dass ich es geliebt habe, Schauspielerin zu sein. Zu diesem Zeitpunkt habe ich eigentlich mehr Mode und Musik gemacht – ich hatte eine Tour und ein Album lanciert. Ich hatte gar keine so große Lust aufs Schauspielern. Ich habe auch immer gedacht, ich wäre keine gute Schauspielerin – vor allem, weil ich die ganzen Filmrollen davor nie bekommen habe. Aber jetzt blicke ich zurück und gebe niemandem dieser Menschen, die mich nicht angeheuert haben, die Schuld. Erst mit “Das fünfte Element” habe ich zum ersten Mal verstanden, was es bedeutet, sich fallen zu lassen – und das muss man als Schauspieler.
Das Modeln war doch sicherlich auch eine Art Schule dafür.
Alles im Leben ist auf eine gewisse Art und Weise eine Schule. Für mich war alles, was ich in den verschiedenen Zeiträumen gemacht habe, sehr harmonisch. Mode war zum Beispiel einfach ein Weg, meine Persönlichkeit auszudrücken und zu entwickeln. Alles machte mich zu dem Menschen, der ich damals war und heute bin. Insofern glaube ich schon, dass mir das Modeln ein bisschen auch beim Schauspielern geholfen hat.
Wie genau?
Auch mit Kleinigkeiten, so etwas wie dass ich schon im Vorhinein über Beleuchtungen und Kameraeinstellungen Bescheid wusste. Andererseits lehrt das Modeln, immer darauf zu achten, dass man sich gut präsentiert, sodass man auch vor der Kamera gut aussieht. Als Schauspielerin muss man das alles zuerst ablegen. Man muss bereit sein, Fehler zu machen, ganz natürlich aussehen und diese Natürlichkeit auch fördern. Bewusst in diesem einen Moment sein. Ich glaube, das ist etwas, was viele Models davon abgehalten hat, mit dem Schauspielern zu beginnen, weil die meisten einfach zu sehr wissen, wie sie sich zu geben haben, um gut auszusehen. Das ist es, was Schauspielern so eine unfassbare Kraft verleiht: Es interessiert sie nicht, was die anderen über sie denken.
Mit der Kampagne, die Sie für den neuen Duft “Wow” von Joop gedreht haben, bewegen Sie sich irgendwo dazwischen.
Das sehe ich schlicht und ergreifend als Werbung. Es ist kein wirklicher Kurzfilm, es gibt keine Dialoge. Es ist eine Werbung, eine sehr glamouröse und schöne Werbung. So war auch meine Aufgabe einfach die, meine glamouröse Seite zu präsentieren.
Aber ist das nicht auch eine Art Charakter?
Definitiv! Und mir fällt es sehr leicht, diese Seite von mir zu zeigen.
Was verbinden Sie mit der Marke Joop?
Na ja, vor allem in den 90er- und 00er-Jahren war sie cool. Ich kann mich gar nicht an die Zeit erinnern, wo ich Joop nicht kannte. Ich kann mich ziemlich gut an diese eine Joop-Kampagne erinnern, um die 15 Jahre muss das her sein: Da waren diese Baby Dolls, die Models sahen aus wie Puppen. Außerdem war ich mal im Gespräch, für Joop eine Capsule Collection zu entwerfen. Das hat dann aber leider nicht geklappt. Wir haben also mehrmals versucht zusammenzuarbeiten – umso mehr freue ich mich darüber, dass es jetzt geklappt hat.
Wenn wir beim Begriff “Wow” bleiben. Welche Frauen hatten diesen Effekt in Ihrem Leben?
Frauen im Allgemeinen sind für mich heutzutage wow. Sie erfüllen die Rolle der Mutter, auch die Rolle der Ehefrau und Liebhaberin, Job und Karriere kommen selbstverständlich hinzu. Männerrollen sind im Gegensatz dazu eigentlich ziemlich gleich geblieben, die Rolle der Frau hat sich aber sehr stark im Laufe der Zeit verändert. Wir sollen und wollen wie Männer sein, vor allem gleich erfolgreich – aber im Gegensatz zu Männern haben wir auch noch unsere Periode und bringen Kinder zur Welt. Noch dazu müssen wir auch noch tolle Mütter sein und kochen, all das eben. Frauen machen so viele Dinge zusätzlich zu all ihren Aufgaben, beispielsweise ihre Beauty-Routine.
Aber da muss es doch auch eine Frau geben, die Sie in letzter Zeit mal besonders begeistert hat.
Meine Freundin Sara Ziff, die sich für die “Model Alliance” eingesetzt hat. Dieses Projekt hilft Models, ihre Rechte zu bekommen, überhaupt mal Regeln in der Modeindustrie durchzusetzen. Beispielsweise, dass ihre Arbeitszeiten genauso geregelt sind wie in jedem anderen Beruf in der Modebranche und dass sie rechtzeitig bezahlt werden. Und natürlich auch nicht belästigt werden. Die Modelindustrie war bis vor Kurzem wirklich die letzte Sphäre, in der es keine Regelungen gibt. Es gibt beispielsweise keine Gesetze für Minderjährige.
Das sind Probleme, mit denen Sie als junge Frau sicherlich auch konfrontiert waren.
Ja, und daher ist es umso schlimmer, dass sich immer noch nichts geändert hat. Schockierend.
“Wow” war ursprünglich ein Männerduft, jetzt wurde eine Version explizit für Frauen entwickelt. Finden Sie es zeitgemäß, dass da immer noch solche Unterschiede gemacht werden?
Diese Sichtweise finde ich wiederum sehr retro. Diese Unisex-Denken war doch das, was Calvin Klein in den 90ern gemacht hat. Ich glaube hingegen, wir sollten unsere Unterschiede zelebrieren! Was ist schlecht daran, ein Parfüm zu tragen, das speziell für dich gemacht wurde? Ich finde es toll zu sehen, dass Frauen einfach Frauen sein können – das ist etwas, was ich an diesem Parfum auch so liebe: Es ist blumenhaft, es hat eine fruchtige Note, aber dann gibt es da noch einen sehr maskulinen Unterton, sehr animalisch und sexy. Ich liebe Parfums, die vielseitig sind. So muss ich mich nicht entscheiden, ob ich das eine oder das andere tragen will – und welche Facette meines Charakters ich zeigen will.
Tragen Sie auch mal Männerparfums?
Ich kann mich daran erinnern, dass ich als Teenager dachte, dass Männerparfums zu tragen, cool sei. Das war gut in dieser Zeit, aber jetzt mag ich es, Diversität zu feiern. Ich bin 42 Jahre alt – ich kann sehr leicht wie ein Mann aussehen, deshalb will ich nicht auch noch wie ein Mann riechen.
Sind Sie jemand, der Düfte häufig wechselt?
Gar nicht! Ich bin eine sehr loyale Parfum-Nutzerin. Wenn ich einen Duft finde, der mir gefällt, dann bleibt der jahrelang bei mir.
Gilt dasselbe für Ihre Beauty-Routine?
Nein, meine Beauty-Routine verändert sich ständig. Alle zwei Jahre muss ich mein Badezimmer komplett ausräumen. Da lade ich dann immer alle meine Freunde ein und lasse sie Produkte aussuchen und mitnehmen. Ich habe bei mir zu Hause bestimmt einen ganzen Gesichtspflege-Laden, mit vielen Produkten, die ich nie benutzt habe, viele Masken und Seren. Viele Menschen sind der Meinung, dass man seine Routine nicht verändern sollte. Aber ich finde, dass sich die Haut alle paar Jahre verändert. Dinge, die vorher funktioniert haben, funktionieren nicht mehr. Deshalb probiere ich laufend neue Sachen. Klar reagiert man dann ab und zu etwas komisch und hat Rötungen. Ich höre dann mit allem für eine kurze Zeit auf und wasche mein Gesicht einfach und benutze nur eine einfache Feuchtigkeitscreme. Dann beruhigt sich meine Haut – und ich fange von vorne an.
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Ich liebe asiatische Produkte! Momentan bin ich sehr vernarrt in eine preiswerte koreanische Marke, ihr Name fällt mir aber gerade nicht ein. Dort kommt ein Wurzelextrakt zum Einsatz, der so klebrig ist, dass man das Produkt nicht einfach auftragen kann, sondern einklopfen muss. Jetzt kann ich darauf schwören – aber nächstes Jahr wird es vermutlich etwas anderes sein!